05.07.2025
Mein Leben. Meine Gedanken. Mein Körper. Meine Frau. Meine Kinder. Meine Freunde. Meine Katze. Mein Haus. Mein Garten. Mein Auto. Meine Kleidung. Meine Bilder. Meine Bücher. Mein Wissen. Mein Job. Meine Meinung. Meine Gefühle. Meine Seele.
Ich besitze so vieles – und doch ist nicht jedes Besitzen gleich. Es gibt Besitz, der mir Kraft gibt, der mich herausfordert, der mich wachsen lässt. Und es gibt Besitz, der mich müde macht, mich einengt, mich von mir selbst entfernt. Besitz ist keine homogene Kategorie. Es ist eine Beziehung, und wie jede Beziehung kann sie lebensförderlich oder zerstörerisch wirken – je nachdem, wie sie gelebt wird.
Alles, was wir in Besitz nehmen, nimmt auch uns in Anspruch. Es fordert Aufmerksamkeit, Pflege, Sorge, Beziehung. Besitz ist keine Einbahnstraße, sondern eine Wechselwirkung. Wer das ignoriert, läuft Gefahr, von seinem Besitz vereinnahmt zu werden: durch Angst, Verlustsorgen, Aufwand oder Abgrenzung.
Der Philosoph Erich Fromm unterscheidet zwei Lebensformen: jene, die sich über Besitz definieren, und jene, die sich im Vollzug des Seins, der Beziehung und Gegenwart verwirklichen [1]. Besitz, so Fromm, kann zur inneren Verarmung führen, wenn er nicht in die Substanz des Lebens integriert wird. Wer nur besitzt, um zu haben, verliert sich. Wer besitzt, um verbunden zu sein, kann wachsen.
Besitz wirkt auf uns zurück. Er gestaltet uns mit. Ein Haus, das ich bewohne, ein Garten, den ich pflege, ein Tier, das ich versorge, sind keine leblosen Objekte. Sie sind Teil einer stillen Beziehung, in der ich nicht nur gestalte, sondern auch geformt werde. Besitz, recht verstanden, ist kein Ausdruck von Macht, sondern von Beziehung. Er ist eine Einladung zur Hingabe.
Der sprachliche Akt, etwas „mein“ zu nennen, ist mehr als ein juristisches Bekenntnis. Er ist ein Beziehungsversprechen. Wenn ich sage: „mein Garten“, „mein Beruf“, „meine Katze“, dann ist das nicht nur eine Aussage über Zugehörigkeit, sondern auch über Verantwortung. Umgekehrt stellt sich die Frage: Bin ich auch der Mensch des Gartens? Der Begleiter der Katze? Der Diener meines Berufs?
Diese Perspektive wird besonders deutlich in zwischenmenschlichen Beziehungen. Wer von „meiner” Frau spricht, muss auch bereit sein, “ihr” Mann zu sein. Besitz, der keine Gegenseitigkeit kennt, bleibt flach oder wird zerstörerisch. In der Tiefe ist Besitz nie einseitig. Er verlangt Antwort, Einlassung, Bereitschaft.
Wohnraum zeigt paradigmatisch, was Besitz gesellschaftlich bedeutet. Die Diskussion um Miete und Eigentum ist nicht nur eine Frage des Wohnrechts, sondern der kulturellen Verfasstheit unserer Beziehung zur Welt. Eigentum, das als Spekulationsobjekt verstanden wird, führt zu Entfremdung: von Ort, Nachbarschaft, Geschichte. Miete, die als bloßer Kostenfaktor gesehen wird, verhindert Verwurzelung. Aber Eigentum, das aus der Haltung der Hingabe erwächst, kann etwas Heilsames entfalten. Es schafft eine Verbindung zum Ort und darüber hinaus: zur Geschichte, zur Nachbarschaft, zur Verantwortung für das Ganze.
Wer sich von einem Ort besitzen lässt, wird verwurzelt. Nicht im Sinne von Sesshaftigkeit allein, sondern im Sinne einer Beziehung, die Raum, Zeit und Handlung integriert. Identität erwächst nicht allein im Innern, sondern in der Interaktion mit dem Ort. Ich werde durch mein Haus geprägt, durch die Pflege meines Gartens, durch das Gespräch mit meiner Nachbarin. Zugleich präge ich diese Orte mit: durch Gesten, Entscheidungen, durch das, was bleibt, wenn ich weggehe.
In der biblischen Tradition ist Eigentum niemals absolut. Alles, was der Mensch besitzt, gehört letztlich Gott: „Des Herrn ist die Erde und was darinnen ist“ (Psalm 24,1). Besitz ist Gabe, kein Eigentumsrecht im modernen Sinne. Der Mensch ist Verwalter, nicht Herrscher. Diese Sichtweise birgt eine radikale Ethik: Besitz verpflichtet. Wer Land besitzt, ist verantwortlich für seine Fruchtbarkeit. Wer Raum besitzt, ist verantwortlich für sein Teilen. Wer Macht besitzt, ist verantwortlich für den Schutz der Schwachen. Eigentum ist in diesem Denken nicht Distinktion, sondern Dienst.
Papst Franziskus greift diese Tradition in seiner Enzyklika Laudato si’ mit überraschender Klarheit auf: „Das Privateigentum ist untergeordnet dem allgemeinen Bestimmungszweck der Güter“ [2]. Besitz ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Guten. Wenn Eigentum nicht dem Gemeinwohl dient, wird es zur Ungerechtigkeit. Der Papst erinnert daran, dass der Mensch sich nicht als Eigentümer, sondern als Teilhaber an einer größeren Schöpfungsordnung verstehen muss.
In Zeiten ökologischer Krisen wird diese Sicht drängend aktuell. Klimawandel, Bodenversiegelung, Ressourcenverschwendung sind Ausdruck einer Haltung, in der Besitz als Verfügungsmacht verstanden wird, nicht als Beziehung. Nur wenn wir uns vom Besitz auch rufen lassen – zu Pflege, Mäßigung, Mitverantwortung – kann er Teil einer ökologischen Ethik werden.
Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt in seinem Konzept der Resonanz eine Weltbeziehung, in der Dinge und Menschen nicht manipuliert, sondern als Gegenüber erfahren werden [3]. Ein Garten, der mich anspricht. Ein Ort, der mich ruft. Besitz ist dort gelungen, wo er nicht verstummt, sondern zur Beziehung führt.
Wir brauchen eine neue Kultur des Besitzes: eine, die nicht vom Haben ausgeht, sondern von der Bereitschaft zur Beziehung. Besitz ist nie neutral. Er bildet, fordert, verändert. Deshalb sollten wir uns gut überlegen, was wir besitzen – und warum. „Mein“ ist nie ein neutrales Wort. Es verpflichtet. Es lädt ein. Es fordert Antwort.
[1] Erich Fromm: Haben oder Sein. dtv. München 1976.
[2] Papst Franziskus: Laudato si’ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Enzyklika. Vatikan 2015, Nr. 93.[3] Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp. Berlin 2016.